Tierische Freunde
Nicht nur Menschen tun enge soziale Bindungen gut. Auch Tiere profitieren von langfristigen Koalitionen – und immer mehr Forscher nennen diese Beziehungen Freundschaften.
«Liesse ein Marsianer sein Raumschiff über einer Herde Giraffen schweben und sähe zu, wie sie sich untereinander bewegen, wie sie sich den einen anschliessen und andere verlassen, neue Gruppen bilden, meist mit Tieren, die sie kennen – der Marsianer würde folgern, dass Giraffen Freunde haben», sagt Fred Bercovitch. In seinen Untersuchungen nennt der Biologe diese Beziehungen zwar «enge soziale Bindungen», doch ist er überzeugt, dass sie den Namen Freundschaft verdienen. Damit steht er nicht alleine. Eine ganze Reihe von Fachleuten bezeichnet langfristige Partnerschaften unter Tieren heute mit diesem Begriff, der lange ausschliesslich menschlichen Beziehungen vorbehalten war. Mittlerweile hat man auch Belege für einen evolutionären Zweck von Freundschaften. Doch in Bezug auf die Mechanismen, die ihnen zugrunde liegen, sind noch viele Fragen offen.
Gesundheit und viel Nachwuchs
Bercovitch, der am Center for International Collaboration and Advanced Studies in Primatology der Universität Kyoto arbeitet, erforscht das «gesellschaftliche» Leben von Thornicroft-Giraffen. Deren Weibchen bilden kleine, in ihrer Zusammensetzung variierende Herden von meist zwei bis sechs Individuen; die Männchen leben gewöhnlich alleine. Wie der Forscher bei der Analyse von über 34 Jahre hinweg gesammelten Beobachtungsdaten herausfand, ist die Zusammensetzung dieser Herden anders als früher angenommen keineswegs zufällig: Es sind vor allem Mütter und Töchter, und in etwas geringerem Masse auch gleichaltrige Giraffenkühe, die sich bevorzugt zusammenfinden. Und diese Präferenzen liessen den Forscher die eingangs zitierte Schlussfolgerung ziehen.
«Bei Menschen ist bekannt, dass stabile soziale Beziehungen der psychischen und physischen Gesundheit zugutekommen und sogar die Lebenserwartung steigern.»
Bei Menschen ist bekannt, dass stabile soziale Beziehungen der psychischen und physischen Gesundheit zugutekommen und sogar die Lebenserwartung steigern. Ob auch die Giraffen einen Nutzen aus diesen Freundschaften ziehen, hat Bercovitch nicht untersucht. Doch verschiedene andere Wissenschaftler haben sich – bei anderen Tierarten – mit dieser Frage beschäftigt. So konnten Joan Silk, heute an der Arizona State University, und ihre Kollegen mithilfe von Langzeitstudien zeigen, dass die Lebenserwartung von Pavianweibchen, die stabile soziale Beziehungen zu anderen Weibchen pflegen, höher ist als diejenige von Artgenossinnen mit einem weniger festen «Freundeskreis». Diese Weibchen hatten auch mehr überlebende Junge, also einen höheren Reproduktionserfolg. Dies lässt die Fähigkeit, Freundschaften zu schliessen und sie aufrechtzuerhalten, aus evolutiver Sicht durchaus sinnvoll erscheinen.
Lieber mit Verwandten
Ähnliche Vorteile von Freundschaften haben neuseeländische Forscher vor einigen Jahren bei Kaimanawa-Pferden beobachtet. Diese verwilderten Hauspferde leben frei auf der Nordinsel Neuseelands, und zwar in Gruppen, die aus mehreren erwachsenen Stuten, deren jungem Nachwuchs und einem adulten Hengst bestehen. Im Rahmen einer mehrjährigen Untersuchung stellten die Forscher fest, dass Stuten, die besonders gut in das soziale Gefüge ihrer Gruppe integriert waren, die sich also viel in der Nähe anderer Stuten aufhielten und oft soziale Fellpflege betrieben, ihre Fohlen erfolgreicher aufzogen als weniger gut «vernetzte» Artgenossinnen.
Die hier untersuchten Stuten waren nicht miteinander verwandt, wie Elissa Cameron, heute an der University of Tasmania, und ihre Kollegen schreiben. Dies, weil diese wildlebenden Gruppen sich aus nicht verwandten Tieren zusammensetzen. In einer Untersuchung von Hrefna Sigurjónsdóttir von der University of Iceland an Islandpferden, die in einer bewirtschafteten Herde ohne erwachsenen Hengst lebten, war dies anders. Und tatsächlich freundeten sich sowohl die Stuten als auch die Wallache bevorzugt mit ihren Verwandten an. Auch unter den Pavianen sind es, wie bei Bercovitchs Giraffen, oft mütterlicherseits miteinander verwandte Individuen, die besonders enge Bindungen zueinander aufbauen. Ebenso könnte der Umstand, dass sich viele Tiere gerne mit gleichaltrigen Artgenossen anfreunden, auf eine gewisse Bevorzugung Verwandter hindeuten: Dann nämlich, wenn eine Alterskohorte mit grosser Wahrscheinlichkeit von demselben, zum Zeitpunkt ihrer Zeugung dominanten Männchen abstammt. Doch sind stabile Beziehungen zu Verwandten Freundschaften?