Rocken wie die Enkel
Grosi Esther Rothen entdeckt im Alter den Jungbrunnen. Mit ihren vier Bandkolleginnen von «crème brûlée» bringt sie nicht nur Seniorennachmittage zum Kochen.
Eingehüllt in eine schwarze Lederjacke, mit dem Hut leicht in der Stirn, lässig über die Stuhllehne gebeugt. So fühlt sich Esther Rothen auf der Bühne am wohlsten. Mit 72 Jahren Songs von Rock-and-Roll-Grössen wie Elvis Presley zum Besten geben – für die Frontfrau von «crème brûlée» gehört das zum Normalsten der Welt. «Wer beim Musikmachen einmal Blut geleckt hat, kommt nicht davon weg, nur weil er die Siebzig überschritten hat.» Das Feuer für heisse Rhythmen lodert schon lange in der zackigen Lebefrau: Mit 18 Jahren gründet sie ihre erste Band, fühlt sich mehr als ein halbes Leben lang in der klassischen Musik zu Hause. Nach der Pensionierung will sie noch mal einen Neustart wagen. «Auch wenn man älter wird, kann man ein Stück weit auf die Jugend zurückkommen.»
Unterricht in Popgesang und eigene Textversuche folgen – und das Resultat ist vor sechs Jahren die Gründung von «crème brûlée». Das Bandprojekt geht zurück auf die Grossmütterrevolution, Plattform und Thinktank für Frauen in der zweiten Lebenshälfte. Fünf Frauen, darunter drei Grossmütter, rocken heute in leicht geänderter Formation Gemeindesäle und Volksbühnen. Neben dem Musiker-Leben hat Esther Rothen ein ganz bodenständiges. Sie pflegt engen Kontakt zu ihren sechs Enkelkindern, von denen manches erstaunt auf ihr Hobby reagiert hat. «Die machen ja wirklich echten Rock!» So ist es einem Enkel im Teenageralter entfahren, als er sein Grosi zu einer Probe begleitet hat. Und so gerne sie auch Zeit mit den jüngsten Familienmitgliedern verbringt, für Esther Rothen ist das nicht alles: «Daneben muss auch Platz für anderes sein. Reisen und Musikmachen erfüllen mich genauso.»