Heimat – ein Ort, ein Ding, ein Gefühl?

Was bedeutet Heimat? Berge, Schoggi, Banken – alles Käse? Sieben einander unbekannte Personen im Gespräch über das grosse Wort «Heimat». Ein Auszug.

  • In einer interessanten Runde haben wir uns über das weitläufige Thema Heimat ausgetauscht.

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Was bedeutet Heimat?
Arun:
Für mich ist Heimat nicht, was man sich klischeehaft darunter vorstellt. Es hat nichts mit Sennechutteli, Fahnenschwingen, Hornussen oder Hoselupf zu tun. In meiner Heimat fühle ich mich wohl, sind meine Freunde und Familie, muss ich mich nicht um meine Sicherheit sorgen. In meiner Heimat kann ich mich selbst sein und mich bis zu einem gewissen Punkt politisch einbringen, ohne selbst Politiker sein zu müssen.
Sabine: Das sehe ich ähnlich. Das Gefühl von Heimat kommt bei mir in unterschiedlichen Situationen auf: wenn ich nach Bern zurückkehre oder wenn ich gute Freunde und meine Familie besuche. Ich bin vor sechs Jahren nach Bern gezogen – zunächst nur für ein sechsmonatiges Praktikum, ich fühle mich hier aber sehr wohl und bleibe wohl länger.

«Heimat ist für mich der Ort, an dem ich mich selbst sein kann und mich die anderen so kennen. Momentan ist meine Heimat Bern.»

Gabriel Bühler

Manuel: Es klingt vielleicht kitschig, aber wenn ich mit dem Zug über die Brücke in Bern einfahre, fühle ich Heimat. Ich glaube, dass es die Vertrautheit ist, die dieses Gefühl in mir weckt. In Bern bin ich aufgewachsen, hier kenne ich jede Ecke, hier sind meine Freunde und meine Familie. Ich betrachte dann die Farbe und den Pegel der Aare und schliesse daraus auf das Wetter der letzten Tage.
Lara: Heimat kann sich auf jeden Fall verändern. Bei mir persönlich hat sich vor allem der Blick auf die Heimat verändert. Ich habe schätzen gelernt, was ich an ihr habe, auch wenn ich vieles an ihr kritisch betrachte.
Marianne: Meine Heimat sind mein Partner und meine Kinder. Sie sind mein sicherer Hafen, meine emotionale Heimat. Müsste ich einen Ort nennen, wäre das momentan Bern oder sogar das Breitenrain-Quartier in Bern. Für mich kann Heimat nur lokal sein, dafür aber an mehreren Orten.
Gabriel: Und die Sprache? Für das Gefühl von Vertraut- und Verbundenheit macht für mich die Sprache viel aus. Auf einen Ort bezogen, könnte ich wohl keine Heimat empfinden, solange ich die Sprache nicht beherrsche.
Mélanie: Ja, Heimat ist auch das Gefühl, dass meine Kinder ihre Wurzeln hier haben und dass wir alle Schweizerdeutsch sprechen. Eine Kuriosität – erklären Sie mal einem Fremden, wieso Schweizerdeutsch nicht geschrieben wird und wir alles auf Deutsch lesen und schreiben. Heimat ist aber auch mein Ritual, bei der Ankunft in Kloten sofort ein Rivella rot zu kaufen. Weiter bedeutet mir Heimat Wärme, Geborgenheit, aber auch ganz triviale Sachen wie die Kenntnis der Strukturen, das Verständnis für das Ticken der Gesellschaft oder eben, dass ich mich gegenüber den Mitmenschen für mein Verhalten nicht immer erklären muss.

«Man weiss nicht, was man an der Heimat hat, bis man in der Ferne ist.»

Lara Spinnler

  • Sabine Pfeiffer, Architektin, 31, stammt aus den USA, wohnt seit sechs Jahren in Bern.

  • Arun Parekh, Problemmanager IT, 46, hat ein halbes Jahr in New York City gelebt und besucht regelmässig seine Familie in Mumbai und im Staat Gujarat, Indien.

  • Lara Spinnler, Fachspezialistin Resettlement, SEM, 37, reist dienstlich immer wieder in den Libanon und nach Jordanien.

  • Marianne Helfer, Sozialanthropologin, 41, hat unter anderem zwei Jahre in Honduras gelebt.

  • Gabriel Bühler, Schreiner, 20, war wähend eines Zivildiensteinsatzes zwei Monate in Georgien, in einem kleinen Dorf namens Tscholaschi.

  • Mélanie Wasem, Staatsanwältin, 46, war beruflich 13 Monate in Ruanda und hat zudem in Paris eine zweite Heimat gefunden.

  • Manuel Bühler, angehender Architekt, 23, war während des Studiums sechs Monate im Austauschsemester in Bordeaux.

Gibt es also mehr als eine Heimat? Ist Heimat mit einem Ort verbunden?
Marianne:
Für mich gibt es einige Heimaten. Ist das die korrekte Mehrzahl? Gibt es überhaupt eine Mehrzahl?
Manuel (lacht und meint): Vielleicht heisst es Heimätter!
Marianne: Heimätter finde ich gut! Heimat kann in mir drin sein oder an einem oder vielen Orten. Jedenfalls glaube ich nicht an ein Konzept der konstanten unveränderlichen Verbundenheit zu einem Ort. Orte verändern sich ebenso wie Menschen, wir ziehen um, wandern aus und kehren zurück. So individuell und veränderlich wie die Realität halt.
Arun: In meinem Fall gibt es auch mehrere, sie sind immer verbunden mit einem Ort. Aufgewachsen bin ich in Steffisburg, welch heile Welt! Ich fühle mich in der Region Thun verwurzelt und komme immer wieder gerne zurück, auch wenn ich nicht mehr da leben möchte. Steffisburg wird aber immer meine Heimat bleiben. Später bin ich nach Zürich gezogen (ich weiss, das können viele Berner nicht verstehen), wo ich mich bisher am wohlsten fühle. Momentan bin ich in Bern zu Hause, würde aber nach wie vor Zürich als eine meiner Heimaten in der Schweiz bezeichnen. Ebenso fühle ich mich in Mumbai zu Hause. Dort zu sein, gibt mir eine ganz andere Perspektive auf «Probleme» hier in der Schweiz, die eigentlich keine sind.

«Heimat kann in mir drin sein, an einem oder vielen Orten. So individuell und veränderlich wie die Realität halt.»

Marianne Helfer

Gabriel: Für mich kann Heimat eigentlich überall sein, solange ich mich wohlfühle. Wenn es sein müsste, könnte ich mich auch an einem anderen Ort zu Hause fühlen. Dies würde jedoch seine Zeit brauchen, bis ich mir ein mir vertrautes Umfeld aufgebaut habe. Aber ja, Heimat ist für mich verbunden mit einem Ort, es ist nicht «nur» ein Gefühl.
Lara: Ich denke, dass es für viele Menschen nur eine Heimat gibt. Für zahlreiche andere gibt es mehrere – jede Migrantin, jeder Migrant würde dem wohl zustimmen. Und ob mehrere Heimaten eine Bereicherung sind oder eher ein Zwiespalt, ist wohl abhängig von der persönlichen Geschichte.

Was schätzt du an deiner aktuellen Heimat?
Sabine: Die Gefühle von Verbundenheit mit anderen Menschen und das Gefühl, einen vertrauten Ort in- und auswendig zu kennen. In Bern liebe ich zudem die Landschaft; besondere Orte, vor allem im Freien, wie zum Beispiel das Aareufer oder Weitblicke auf das Gebirge.
Arun: Das ist ganz unterschiedlich. Freunde und Familie verstehen sich von selbst. In New York hatte ich zudem Heisshunger auf eine Bernerplatte, Bratwurst mit Rösti, solche Dinge. Ich habe mir dann für damals sagenhafte 46 US-Dollar die wahrscheinlich schlechteste Kalbsbratwurst mit Rösti in einem Schweizer Laden gegönnt. In Indien vermisse ich oft die Privatsphäre, Dichtestress bekommt erst dort eine Bedeutung. Wenn ich zurückkomme, freue ich mich besonders auf eine ausgiebige Dusche mit genügend Wasserdruck, gutes Brot und Salat.

«Heimat bedeutet für mich Horizonterweiterung mit Weltperspektive.»

Mélanie Wasem

Marianne: Bezogen auf den Ort Bern: Ich bin oft in Zentralamerika, dann freue ich mich auf Dinge wie Zuverlässigkeit und Sicherheit. Egal wo ich bin, freue ich mich auf meine Kaffeetasse und meinen eigenen Kaffee. Ich freue mich darauf, dass Bern geordnet und doch vielfältig ist und ich in dieser Stadt einen Platz habe. Bezogen auf Menschen: dass sie mir Geborgenheit geben.
Gabriel: Ich freue mich jeweils auf meine Familie und Freunde, darauf, ihnen vom Erlebten zu erzählen und zu hören, was sie in dieser Zeit erlebt haben.
Mélanie: Spontan was ganz Banales: die immer wieder erstaunliche Auswahl an Brotsorten in der Schweiz.

«Heimat ist individuell, wir alle empfinden diese anders. Deshalb soll nie eine Gruppierung, egal welcher Ausrichtung, die Deutungshoheit über diesen Begriff erlangen. Es ist doch viel spannender, die verschiedenen Ansichten zu diesem Begriff zu ergründen.»

Arun Parekh

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