Heimatland! Sind wir eigenartig …

Schweizerinnen und Schweizer nehmen es genau, haben zum Teil «kurlige» Angewohnheiten und diskutieren gerne um den heissen Brei herum. Bloggerin Claudia Jucker erzählt uns – ganz direkt – davon, wie sie erst in der Ferne gelernt hat, was ihre Schweizer Heimat ausmacht.

Hallo!

Während ich diesen Text verfasse, hinke ich mit zwölf Stunden Zeitverschiebung dem Schweizer Alltag hinterher, lasse mich vom regelmässigen Rotieren des Ventilators begleiten statt vom Ticken meiner Swatch und trinke «purified water» aus der Flasche statt wie zu Hause und mit grosser Selbstverständlichkeit Hahnenburger.

Ich geniesse das Privileg einer Familienauszeit auf Hawaii. Ich sage Ihnen, es ist wirklich traumhaft schön hier. Die Vegetation, die Natur, die Strände, der Aloha-Spirit. Ach. Aber darum geht es jetzt nicht.

Die Schweiz aber ist und bleibt für mich das wahre Paradies, auch wenn wir uns der Selbstverständlichkeiten des sehr gut funktionierenden Schweizer Alltags gar nicht immer so bewusst sind.

Seien es intakte Strassen, minutengenaue Briefzustellungen oder die Sorgfalt des Eiermannes, der, sofern man ein Abo hat, einmal wöchentlich das Sechser- oder Zehnerpack unversehrt in unser Milchkästli legt, als handle es sich um einen seltenen Museumsschatz. Wir nehmen die Sache ernst, kucken aber auch, dass es die anderen genauso genau nehmen wie wir selbst. Wir können endlos und versucht diplomatisch um den heissen Brei herumreden, geben uns zur Begrüssung brav die Hand und schauen uns beim Anstossen in die Augen. Zudem bündeln wir brav alle 14 Tage unser Papier und legen die Bündeli korrekt geschnürt an den Strassenrand, was schon so manch aus dem Ausland zugezogener Familie Kopfzerbrechen bereitet hat. Und zu guter Letzt halten wir uns natürlich pflichtbewusst und ordnungsgemäss an den Waschplan (inklusive Reinigung der Maschine und des Trocknungsraumes) und falls nicht, hats bestimmt eine Nachbarin hinter dem Vorhängli hervorschielend gesehen, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Insofern braucht die Schweiz für den Moment noch keine Überwachungskameras.

Sie wissen bestimmt, was ich meine, oder?

Bis vor einem Jahr habe ich mit meiner Familie noch mitten in Berlin gelebt. Anfangs, als wir vor über vier Jahren von Zürich weggezogen sind, dachte ich innerlich, ich bin dann mal weg. Aber erst, als mir das 1.-August-Abzeichen auf der Schweizer Botschaft in Berlin Tränen in die Augen trieb, wurde mir bewusst, was ich da eigentlich alles hinter mir gelassen hatte (ich interessierte mich wohl als Kind zum letzten Mal für ein 1.-August-Abzeichen).

Obwohl Deutschland nicht sooooo weit weg ist, fing ich an, eine Art Heimatgefühl zu entwickeln, das ich so an mir noch nicht kannte. Und ich auch als leicht übertrieben erachte, so im Nachhinein gesehen.
Ich fand plötzlich alles toll, was entweder ein Schweizerkreuz trug oder worauf «Made in Switzerland» stand. Ich kaufte sogar Gerber Fondue, welches mit Fondü angeschrieben war. Also Fondue mit ü-Pünktchen, wenn Sie wissen, was ich meine. Ein Anflug von Nostalgie und Wehmut, schätze ich. Für meine Kinder holte ich meine alten Kasperli-Schallplatten aus dem Keller und liess sie ihnen bis nach «übergester» und «änetuback» in der Endlosschleife laufen, weil ich plötzlich Angst bekam, sie könnten das Schweizerdeutsch irgendwie verlieren, weil wir ja jetzt sozusagen als Exilschweizer im Ausland lebten. Potz Holzöpfel und Zipfelchappe!

Und es kam wie es kommen musste! Als unsere jüngste Tochter anfing zu sprechen, kam da nur Hochdeutsch, obwohl wir beide immer Schweizerdeutsch mit ihr sprachen. Und es ging sogar noch weiter! Sie fing an, die deutschen Wörter ans Schweizerdeutsch anzupassen, und so wurde mein Mann kurzerhand zum Papili. Ich glaube klischierter wäre es nicht mehr gegangen.

Vermutlich ist es egal, ob man nun gerade in den Ferien weilt oder sogar schon länger im Ausland gelebt hat, gewisse Schweizer Besonderheiten werden einem erst mit einem gewissen Abstand bewusst oder eben dann, wenn sie nicht mehr selbstverständlich sind.

Nehmen wir als Beispiel den Sonntagsspaziergang auf dem Hausberg. Haben Sie schon mal gezählt, wie oft sie dabei gegrüsst haben oder selbst begrüsst worden sind? Und ich glaube, in keinem anderen Land begrüsst man sogar fremde Leute im Fahrstuhl, oder irre ich mich? So musste ich auch anfangs, als ich wieder zurück in Zürich war, lauthals lachen, wenn am Bahnhof eine Durchsage wegen drei- oder siebenminütiger Zugverspätung kam und ich dann in unzählige entsetze und gestresste Gesichter blickte, die panisch angefangen haben, Nachrichten in ihre Smartphones zu tippen. Ich stellte mir dann vor, was da stand. «Du Schatz, ich komme sieben Minuten später zum Essen.» Oder: «Fangt doch schon mal mit dem Apéritif an, mein Zug hat drei Minuten Verspätung.»
Ist der Zug dann endlich da, wird nett gefragt, ob denn in diesem Abteil noch frei sei, ohne abzuwarten, ob der andere nickt. Denn, wer würde denn schon Nein sagen?

Eine Kanadierin, die in der Schweiz lebt und arbeitet, hat einmal gezählt, wie oft in ihrem Büro am Mittag «en Guete» gesagt wurde und dann noch obendrein «Danke, glichfalls». Sie kam auf über 50 Mal! Eine stattliche Zahl wie ich finde und ehrlich gesagt finde ich das auch eine ziemlich witzige Eigenart. Das wäre mir nie aufgefallen.


Mein Chef in Berlin nahm mich immer wieder gerne mit dem gleichen Spruch auf die Schippe, in dem er mich in den Feierabend verabschiedete und meinte, er würde mir im Notfall ein Telefon geben (mich anrufen).

Als wir uns hier in Hawaii mit einer schweizerischen-amerikanischen Familie über Sandwiches unterhalten haben, kamen wir zum Schluss, dass die Schweizer trotz hohem Qualitätsbewusstsein nur die minimalsten Anforderungen an Sandwiches stellen, nämlich Brot, Käse oder Fleisch und ein bisschen Butter.

Das Lied von Mani Matter wird Ihnen ein Begriff sein.

Was isch es Sändwitsch ohni Fleisch – s isch nüt als Brot

Was isch es Sändwitsch ohni Brot – s isch nüt als Fleisch
 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun «e Guete» oder «äs schöns Tägli» oder «e guete Firabe» und vergessen Sie nicht, für den nächsten Urlaub ein Aromat im Miniformat einzupacken.

Claudia Jucker arbeitet als freie Texterin für diverse Online- und Printmedien in der Schweiz und in Deutschland. Als sie in Berlin lebte, gründete sie ihren Blog «Hoi Berlin», um den Alltag als Schweizerin in Berlin in schriftlicher Form zu verdauen. Mittlerweile schreibt sie über ihre neusten Entdeckungen und über persönliche Anekdoten aus dem Alltag mit Kindern und immer mehr auch über das Reisen, eine ihrer grössten Leidenschaften. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich und beobachtet mit grossem Vergnügen das Verhalten ihrer Landsleute, das ihr immer wieder besonders ins Auge sticht, wenn sie von einer ihrer Auslandreisen zurückkehrt.

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