Was Claudio Valeri zu einer Auszeit bewegt, verbindet ihn mit einem bekannten Gefühl des Zeitgeists: Der Alltag braust im Eiltempo voran, der Dauerschwall an Kommunikation und die ständige Erreichbarkeit kosten Zeit und Kraft. Für ihn, den beruflich Selbständigen, sind die Auswüchse der modernen Gesellschaft noch einmal stärker spürbar: «Wechselnde Engagements an den verschiedensten Orten machen es für mich schwer, ein Gefühl für den Moment zu entwickeln.» Und doch will er keineswegs mit seinem Beruf hadern, «denn die Musik ist mein Leben».
Das Ziehen von Stadt zu Stadt, von der Schweiz bis an die Ränder Europas – für seine Passion nimmt Claudio Valeri das Unstete in Kauf. Eine Pause im Kloster bedeutet denn auch nicht eine Pause von der Musik. Die spezielle Umgebung bietet vielmehr Gelegenheit für einmalige Klangerfahrungen. Ein Flügel im Gästehaus steht explizit zur Nutzung bereit – etwas, wozu man den Vollblutmusiker nicht zweimal bitten muss. Genauso wenig wie für das Spiel auf der Basilika-Orgel. «Das kann schnell einmal zum Spontankonzert auswachsen», erzählt der Italiener, der in der Schweiz aufgewachsen ist. «Hinsetzen, spielen, und die nächsten zwei Stunden vergehen wie im Flug.» Auch zur Freude von manch einem Touristen, der so unverhofft zu einem intimen Konzerterlebnis kommt.
Mit Handzeichen verständigen
Was ist wichtig im Leben? Was will ich noch erreichen? Um über solche und ähnliche Fragen nachzudenken, bietet das Kloster genügend Raum und Zeit. Auch Alleinreisende haben Gelegenheit, gemeinsam nach Antworten zu suchen. Claudio Valeri erzählt von Bekanntschaften, die oft flüchtig sind, manchmal aber tiefer gehen: mit dem ehemaligen Schweizergardisten, der die andächtige Stimmung immer noch schätzt, oder mit dem regen Wirtschaftskapitän, der die Ruhe erst finden muss.
Biografien, Beweggründe und Erfahrungen der Gäste sind verschieden, mindestens an einem Ort treffen sie aufeinander: Wer allein nach Mariastein reist, isst gemeinsam mit den Benediktinern im grossen Saal. 15 Mönche sitzen an der grossen Tafel, der älteste mit 80 Jahren im Rollstuhl, die Gäste an ihrer Seite. «Auch während der Mahlzeiten fühlt man der Stille nach», so Claudio Valeri, «kaum jemand verspürt hier das Bedürfnis, in einem Schwall draufloszuplaudern.» Hier biete sich vielmehr die Möglichkeit, dem nachzugehen, was im Alltag oft zu kurz komme: in aller Ruhe zu essen, überhaupt richtig zu schmecken, was man dem Körper zuführe, ohne dauerhaftes Smartphonesummen vom Nebentisch. «Die Ruhe hat etwas so Befriedigendes, dass man im Speisesaal sogar freiwillig beginnt, sich nur mit Handzeichen zu verständigen.»
Fünf Tage hat Claudio Valeris längste Pause im Kloster Mariastein gedauert. Es sei Zeit, die sich auszahle, «auch wenn man wieder schnell im lauten Alltag ankommt». Das erste quietschende Tram, der erste bellende Hund – kurz nach der Rückkehr höre sich manches intensiver an. Dennoch ist es eine innere Ruhe, die der Musiker ein Stück weit über die Klostermauern hinübernimmt. Und wenn sie nach einer Weile doch abhandenkommt, dann weiss er, wo er sie wiederfinden kann.