«Wir haben nur 30’000 Tage»
Irgendwann ist alles vorbei. Unsere Lebenszeit ist beschränkt. Stefan Dudas ist Businessexperte für Sinngebung. Im flash-Interview rät er sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen, die Zeit, die sie haben, so sinnvoll und erfüllend wie möglich zu nutzen.
Stefan Dudas, was ist Sinn?
Sinn macht mein Leben wertvoll. Er ist da, wenn ich das, was ich mache, gerne mache. Wenn es mir wichtig ist und ich eine gewisse Erfüllung dabei verspüre. Ein sinnreiches Leben hat immer auch mit anderen zu tun. Verspürt man eine Leere, weil einen die Arbeit nicht erfüllt und man sich im Privatleben nicht geborgen fühlt, wird man unzufrieden oder sogar krank. Ausgebrannt zu sein, bedeutet, keine Energie, keine Kraft mehr zu haben. Sinn ist der grösste Energielieferant des Menschen. Wenn ich weiss, warum ich am Morgen mit gutem Gefühl aufstehe, erlebe ich Sinnhaftigkeit.
Wie erkennt man, was für einen selbst sinnvoll ist?
Um diese entscheidende Frage beantworten zu können, muss man Zeit in sich selbst investieren. Man kann sich zum Beispiel fragen, was man nach einem Gewinn von 250 Millionen Franken im Euro-Lotto machen würde – nach drei Jahren Weltreise und Hausbau. Mit welchen Tätigkeiten würden Sie dann Ihre Zeit verbringen? Dann kommen Sie der Sinn-Antwort schon ziemlich nahe. Und die gute Nachricht: Meist brauchen Sie dafür keine 250 Millionen Franken. Zudem sollte man sich fragen, bei welchen Tätigkeiten man Energie bekommt und bei welchen man Energie verliert.
Warum ist es bedeutend, seinen Sinn zu erkennen?
Es schafft eine neue Tiefe des Bewusstseins. Wenn man weiss, warum und wozu man etwas macht, macht man es noch lieber und vor allem bewusster. Daraus ergibt sich eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass man das tun darf, was einen erfüllt. Dies beeinflusst die Lebensqualität entscheidend.
Gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, oder ist Sinn individuell?
Im Alltag ergibt etwas für uns Sinn, wenn wir die Zusammenhänge erkennen und verstehen. Wenn wir wissen, wozu etwas gut ist. Was für uns selbst sinnvoll ist, finden wir nur heraus, wenn wir selbst darüber nachdenken. Sinn ist stark von den eigenen Denkeinstellungen geprägt. Ich bin der Überzeugung, dass Lebenssinn individuell ist. Ein gesellschaftlicher Konsens ist zu stark von gesellschaftlichen Normen und Denkmustern eingeschränkt und kommt oft über Kalendersprüche wie «Der Sinn des Lebens ist leben» nicht hinaus.
Hat Sinn heute eine andere Qualität als früher?
In der Schweiz geht es uns meist sehr gut. Das bedeutet: Um glücklich zu sein, reicht es uns nicht mehr, nur eine Arbeit zu haben. Wir möchten uns während der Arbeitszeit gut fühlen und etwas Erfüllendes tun. Wir haben viele Möglichkeiten, uns zu verwirklichen. Trotzdem macht das im Moment nur eine Minderheit. Grund dafür ist unsere Prägung. Wir glauben, dass wir funktionieren müssen und das Leben nicht immer lustig und schon gar kein Ponyhof ist. Dass Karriere bedeutet weiterzukommen, ohne sich Gedanken dazu zu machen, wo man hinmöchte. Durch die gesellschaftliche Entwicklung, den materiellen Wohlstand, die Schnelligkeit unseres Alltags und die Verbreitung des Themas in den Medien gewinnt Sinnhaftigkeit an Bedeutung. Berufung wird immer mehr gesucht.
Ist die Suche nach Sinn ein Luxus? Steht sie an der Spitze der Bedürfnispyramide?
Nein, Sinn ist kein Luxusprodukt. Die Suche danach hat mit Orientierungslosigkeit zu tun. Wir haben heute Zugang zur ganzen Welt und zu einer fast unerschöpflichen Quelle an Wissen, Gedanken und Möglichkeiten. Das bietet grossartige Chancen, überfordert uns aber auch. In dieser Vielfalt an Optionen fühlt man irgendwann in sich und schaut auf den inneren Kompass. Klar macht man sich weniger Gedanken über das Thema, wenn man nichts zu essen und kein Dach über dem Kopf hat. Aber Sinn ist heute kein Luxus mehr. Bewusster zu leben und darüber nachzudenken, ist die beste Absicherung gegen Burn-out und Co. Schon darum sollte man sich heute unbedingt mit dem Thema befassen.
Viele Menschen wünschen sich eine sinnvolle Arbeit. Was bedeutet das für die Arbeitgeber?
Sowohl Angestellte als auch Kunden suchen heute Sinn. Gelingt es einem Unternehmen, seinen Sinn zu formulieren, nach innen und aussen zu kommunizieren und vor allem zu leben, wird es glücklichere Mitarbeitende und mehr Kunden haben. Laut einer aktuellen Studie des Bundesamts für Statistik leiden heute 21 Prozent der Mitarbeitenden sehr oft unter Stress. Burn-out-Fälle und Depressionen häufen sich. Wir sollten dringend darüber nachdenken, wie wir unsere Arbeitswelt gestalten wollen. Dazu müssen Begriffe wie Karriere, Erfolg und Arbeit kritisch hinterfragt und vielleicht sogar neu definiert werden. Und nein, es ist nicht nötig, dass man gleich in eine New-Work-Euphorie verfällt, die bestehende Organisation über den Haufen wirft und eine holokratische Struktur anstrebt. Was es braucht, ist Denkarbeit. Wie möchte man die Arbeitszeit wirklich verbringen? Welche Alibitätigkeiten kann man über Bord werfen? Welche Ansichten, welche Businesstätigkeiten sind nicht mehr zeitgemäss? Spricht man intern über solche Themen, ändern sich die Kultur im Unternehmen und die Beteiligung der Mitarbeitenden sehr schnell.