Ihre Heimat heisst WLAN

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Digitale Nomaden mischen vormals Getrenntes: Sie machen die Welt zu ihrem Büro. Drei Beispiele von engagierten Schweizern, die ihr Leben erst dank der Digitalisierung richtig leben.

Der Lärm, der Konzentrieren zur Herkulesaufgabe macht, die Kollegin, die sich zum ungünstigsten Zeitpunkt über den Liebesflop auslässt, und der Chef, der ungeduldig mit den Fingern trommelt: Dies ist der alltägliche Bürowahnsinn, den viele kennen – aber immer weniger suchen. Digitale Nomaden nennen sich die, die es anders machen wollen. Als Freelancer reisen sie um die Welt, arbeiten unabhängig von Ort und Zeit. Das geht, weil sie meist nur Laptop und Internet für ihre Arbeit brauchen. Der Berner Lorenz Ramseyer ist ein Kenner der Szene. Die Grösse der Schweizer Community schätzt er auf 300 Nomaden, Tendenz steigend. Wer sie sind und was sie bewegt – Ramseyer hat in seiner Abschlussarbeit an der Fachhochschule danach gefragt. Viele Ergebnisse der qualitativen Interviews von 2014 gelten für die Mehrheit der Befragten: Als Motiv geben sie an, reisen und den Arbeitsalltag autonom gestalten zu wollen. Alle glauben sie, produktiver zu sein als gewöhnliche Büroarbeiter – vor allem, weil sie der langsamen Mühle der Bürokratie entronnen sind. Wer aber sind die innovativen Köpfe, die hinter diesen Daten stecken? Lesen Sie die Geschichten dreier Schweizer, die die Arbeitswelt von morgen schon heute leben.

Lorenz Ramseyer: der Vernetzer

  • Lorenz Ramseyer arbeitet unterwegs – aber immer in der Schweiz: im Zug, auf dem Schiff auf dem Thunersee, beim Wandern oder in einem Museum.


Der Berner hat das digitale Nomadentum nicht nur erforscht, er zählt sich auch selbst zu dieser Bewegung. Dies seit 2006, einer Zeit, in der noch kaum jemand den Begriff des digitalen Nomaden in den Mund nahm. In den letzten zehn Jahren reiste er um die Welt und betreute seine Kundenprojekte, von Web- und IT-Lösungen bis zu Coaching, von überall her. Seit diesem Sommer ist einiges anders: Lorenz Ramseyer ist Vater geworden. «Mit den ganz grossen Reisen ist es wohl erstmal vorbei», so der IT-Spezialist, der seit zwei Jahren seine feste Bleibe in Thun hat. Trotzdem ist für ihn klar: «Ich bleibe Nomade, beschränke meinen Radius aber vorerst auf die Schweiz.» Er setzt sich morgens in den Zug, lässt den Bauch entscheiden, wo er arbeiten soll. Oder er setzt wieder einmal seinen Geheimtipp um: arbeiten im Museum. «Da gibt es alles, was ich brauche», erzählt der Unternehmer, «Schliessfach, Sitzgelegenheit, Toilette und WLAN. Und vor dem Arbeiten kann ich mich noch von der Ausstellung inspirieren lassen.»

Engagement für alle

Lorenz Ramseyer nutzt die Vorteile der Digitalisierung zu seinem Besten – aber nicht nur für sich selbst: Das Konzept der digitalen Nomaden vertritt er auch als Promotor und Vernetzer. 2014 gründete er mit «Digitale Nomaden Schweiz» einen Verein und eine Plattform, zu der auch eine Facebookseite für den Austausch unter Gleichgesinnten gehört. Vor Kurzem hat er zudem eine Onlinebörse für ortsunabhängige Jobs initiiert. Die Chance, dass die neuen Formen des Arbeitens noch populärer werden, schätzt Lorenz Ramseyer als gross ein: «Wir Schweizer sind zwar häufig nicht die Mutigsten und warten erst einmal ab. Die Digitalisierung wird unsere Bewegung aber sicher noch beschleunigen.»

Xenia Schwaller: vorsichtige Abenteurerin

  • Nomadin Xenia Schwaller besucht fürs Arbeiten oft die Kanarischen Inseln. Aber auch England, Portugal und Griechenland zählten schon zu den Stationen.


Weg aus dem Büroalltag, hinein ins Freelancer-Leben und dabei die Welt sehen. Über diesen Traum hatte Xenia Schwaller schon länger sinniert. «Aber es brauchte mehr Mut, als ich gedacht hatte», so die Genferin. Zuvor arbeitete sie als fest angestellte Übersetzerin für verschiedene Banken, das Freelancer-Standbein baute sie daneben langsam aus. Fünf Jahre habe sie auf die geeignete Gelegenheit gewartet, endlich loszuziehen. «Und weil diese nicht kam, habe ich den Plan trotzdem wahrgemacht», lacht die 39-Jährige. 2014 verbringt sie zum ersten Mal längere Zeit auf den Kanarischen Inseln – der Traumdestination im Atlantik, in die sie sich schon in früheren Ferien verliebt hatte. Auch andere Ziele wie Portugal und England gehörten schon zu ihren Arbeitsorten, aber der entspannte Lebensrhythmus auf den Kanaren entspricht ihr am meisten. Einen Taktreiseplan kennt die Romande nicht. Mindestens drei Monate am Stück ist sie unterwegs, oft auch länger, in manchen Perioden arbeitet sie zu Hause in Genf. Trotz allen Unwägbarkeiten sagt sie: «Ich war noch nie so glücklich wie jetzt.»

Komplizierte sind fehl am Platz

Spielend einfach läuft es für Xenia Schwaller trotzdem nicht immer. Die Westschweizerin, die auch immer wieder als Übersetzerin für die BEKB arbeitet, ist für den Job auf schnelles Internet angewiesen. Darum muss sie oft vorher ausfindig machen, wo sie später arbeiten kann. Fündig wird sie meist in einem Coworking Space oder in einer Wohnung, die sie an der jeweiligen Destination extra anmietet. Dabei gilt es, die Ansprüche tief zu halten. «Man muss sich anpassen können und darf nicht zu kompliziert sein.» Etwa dann, wenn in der Wohnung auf Gran Canaria eine Horde Kakerlaken auf sie wartet. Solche Erlebnisse sind das kleinste Übel; die Freiheit, die sie erlebt, schlägt alle Nachteile: «Wieder als gewöhnliche Angestellte zu arbeiten, kann ich mir nicht vorstellen.» Nur etwas wünscht sie sich noch: einen engeren Austausch mit digitalen Nomaden aus der Romandie. Das Konzept scheint ennet dem Röstigraben noch wenig verbreitet. Um engere Kontakte herzustellen, unterhält Xenia Schwaller ihren eigenen Blog. Ausserdem hat sie eigens eine Facebookgruppe für Nomaden aus der Romandie gegründet, und diese hat noch viel Potenzial: «Bisher haben sich gerade einmal drei Leute gefunden.»

Florian und Melanie: die jungen Wilden

  • Das Nomadenpaar Florian und Melanie besucht derzeit arbeitend den asiatischen Kontinent – mit Stationen etwa in Nepal, Thailand und den Philippinen.


Am Anfang stand die Idee einer Weltreise. Bei der Vorbereitung stolpert Florian Schindler über Blogs im Internet, in denen Deutsche über ihre Erfahrungen als digitale Nomaden berichten. Auch im Studium hat er schon von diesen modernen Arbeitern gehört. «Die Weltreise war nun die beste Gelegenheit, es selbst einmal auszuprobieren», so der 26-Jährige. Und nach rund einem halben Jahr unterwegs mit seiner Freundin Melanie Stocker (25), ist für den Multimediadesigner klar: «Es zahlt sich aus. Ich kann mir gut vorstellen, langfristig so zu arbeiten.» Im ersten Jahr durchqueren sie Asien, entdecken Land und Leute. Immer dabei ist der Laptop, mit dem sie an Videos, Webprojekten und dem Marketing für ein Start-up arbeiten. In den ersten Monaten liegt der Fokus auf dem Reisen, die Aufträge kommen erst nach und nach rein: «Wir sind ja noch daran, unsere Selbständigkeit aufzubauen.»

Traum für zwei

Wo das junge Aargauer Paar arbeitet, entscheidet die Lust – und natürlich der Internetempfang. «Auf den Philippinen konnten wir das Arbeiten gleich abschreiben», erinnert sich Melanie Stocker. «Der Empfang war so schlecht, dass wir kaum ein Bild verschicken konnten.» Jetzt, in Bali, sei die Infrastruktur besser und das Arbeiten wieder problemlos möglich. Ihr Büro ist entweder ein Guesthouse oder eine Wohnung, die sie über Airbnb mieten. In einem Punkt unterscheiden sich die beiden Nomaden von vielen anderen – darin, dass sie zu zweit reisen. Genau so sei es aber richtig, findet Melanie Stocker: «Alleine könnte ich es mir nicht vorstellen.» So könnten sie sich gegenseitig stützen und motivieren. Und wichtig sei auch, dass nicht der eine dem anderen seinen Lebensentwurf aufzwinge. «Von überallher und flexibel zu arbeiten, das ist vielmehr der Traum von uns beiden.»

Zum Start ihrer speziellen Weltreise schildern Florian Schindler und Melanie Stocker ihr Projekt.

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