Sehnsucht nach Gemeinschaft

Was begeistert uns daran, in eine andere Welt einzutauchen? Woher kommt die Faszination fürs Mittelalter und das damalige Leben? Persönliche Einblicke.

Auf dem Gelände vermischen sich lachende Kinderstimmen mit dem Hämmern des Hufschmiedes und dem Brutzeln in den Töpfen über dem offenen Feuer. Das wohlige Gefühl, Teil des Dorflebens zu sein, kommt auf. Im Gespräch am Tisch wird deutlich: Das Mittelalter ist für Teilnehmer gelebte Leidenschaft abseits ihres alltäglichen Lebens. Zu Besuch beim Mittelalterspektakel der Turnei auf der Berner Allmend.

Geduldig gibt Ulrich Lüthi Auskunft über seine Falknerei. Mit Freunden ist er seit ungefähr sieben Jahren an Mittelalterfesten dabei. Wenn er davon spricht, was er am Mittelalter so schätzt, gerät er ins Schwärmen. «Die Familie, das Zusammensein, jeder kennt den andern, die gute Gesinnung, das ist einfach schön! Es ist eine grosse Freude, die da in mir da aufkommt.» Lüthi hat seine Passion mit Greifvögeln zum Beruf gemacht. Über die Wesenszüge der Greifvögel könnte er mühelos stundenlang erzählen. Im Mittelalter, erklärt Lüthi, war der Falkner dafür verantwortlich, die Greifvögel abzutragen, ihnen Respekt, Geduld und Vertrauen zu vermitteln, damit die adligen Herrschaften anschliessend mit ihnen auf die Jagd gehen konnten.

  • Neben seiner Falknerei in Kriechenwil arbeitet Ulrich Lüthi als Heilpraktiker. Seine Vögel sind ihm so wichtig, dass er sie selbst nachts nicht aus den Augen lässt. Er teilt sich mit ihnen das Zelt.

  • Sarah Waltenspül führt mit ihrem Freund eine Reinigungsfirma. Für sie ist das Mittelalterleben der perfekte Ausgleich zum Alltag. In ihrem Beruf ist sie meist drinnen und kann hier unter freiem Himmel mit Freunden wieder Kraft tanken.

Sarah Waltenspül unterstützt Ulrich Lüthi seit genau einem Jahr auf den «Märite» und hilft bei der Präsentation der Vögel mit. Ihr verschmitztes Lächeln ist ansteckend. Sie geniesst die Einfachheit der damaligen Zeit. «Sie zeigt mir, dass ich mein eigenes Leben auch einfacher haben könnte. Die Natur ist für mich Rückzugsort, um neue Energie zu tanken.» Manchmal wünscht sie sich, dass die im Zeltlager gelebte Hilfsbereitschaft in unserer heutigen Gesellschaft wieder selbstverständlicher wird. Bevor sie sich ihrer zweiten Leidenschaft, den Hunden, zuwendet, verrät sie noch, dass der Aufbau des Zeltes wegen des starken Windes und des aufgewirbelten Staubs ein bisschen mühsam war. Aber das gehört zu der Zeit halt auch dazu.

Auf dem Gelände gibt es unzählige Gelegenheiten, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Sie machen es einem aber auch einfach. Kurz am nächsten Zeltlager verweilend ruft schon eine Stimme: «Hallo, wie geht es euch?»

  • Während Claudia Kunz Sälinger als Bauführerin ihren Lebensunterhalt verdient, arbeitet Ronny Sälinger in der Verwaltung der Stadt Basel.

Die Stimme gehört Claudia Kunz Sälinger. Sie und ihr Partner Ronny Sälinger sind seit über 18 Jahren auf historischen Festen unterwegs. Die gemeinsame Vorliebe fürs Mittelalter haben sich die beiden beim Kennenlernen nicht angesehen. Doch relativ schnell wurde klar: Sie brennen für dieselbe Sache. «Ich fand schon als Kind Römer, Mittelalter, Renaissance und Piraten toll, irgendwann hat es sich dann ergeben, dass wir als Schaukampftruppe auftreten konnten.» Für ihr selbst genähtes Kleid hat sie über ein Jahr geschneidert. Ein eindrucksvolleres Zugeständnis gibt es kaum. Sie beide fasziniert die Vielfalt der Rollen und Gewänder. «Wir sind nicht fixiert auf ein Jahrhundert wie andere Gruppen.»

Heute ist sie als Edeldame einer Degenschule und er als Arzt mit Bedienstetem unterwegs, morgen schon sind sie verkleidet als einfaches Küchenpersonal. Beide schätzen es, auf den technologischen Schnickschnack verzichten zu dürfen. «Erholung vom elektronischen Smog», nennt das Claudia. «Man sitzt zusammen, diskutiert und lacht gemeinsam – hat einfach Spass miteinander. Es ist alles viel intensiver. Man lebt nicht aneinander vorbei.» Für einen Kaffee benötigt es aber Geduld: Holzsammeln, Anfeuern und Kaffeekochen dauert rund eine halbe Stunde. Auf einen Hauch von «Luxus» kann Claudia aber trotzdem nicht verzichten: «Seit meinem 40. Geburtstag schlafe ich nicht mehr auf dem Boden. Ich baute mir mein eigenes Bett.»

  • Sabrina Steinberger und Uwe Hönscheid verbringen mehrere Wochenenden im Jahr an Mittelalterfesten. Gemeinsam sind sie heute für das Abendessen zuständig.

Als Kind schon fand Sabrina Steinberger Fantasyfiguren toll. Dass sie nun nebst ihrer Arbeit in der Buchhaltung Teil des Heerlagers ist, hat sie ihrem damaligen Leiter der Theatergruppe zu verdanken. Sie hat einmal zugesagt, an einem Turnei-Fest auszuhelfen, und ist nun seit acht Jahren mit dabei. Beide schätzen das einfache Leben. Uwe Hönscheid sieht im Mittelalterdasein den perfekten Gegenpol zu seiner normalen Arbeit als Elektriker: «Die Unabhängigkeit von elektronischen Geräten und Bargeld, das Einfache, das Arbeiten mit den Händen, den Kopf freibekommen», betont Uwe. Angesprochen aufs Wetter, weil man die Tage draussen verbringt, schüttelt Sabrina den Kopf: «Hauptsache, die Füsse sind trocken, dann ist alles halb so schlimm.»

Für dieses Wochenende meldet der Wetterbericht Sonnenschein. Einzig das Gastronomieangebot und die geknipsten Erinnerungsfotos erinnern daran, dass man in der Moderne ist.


Jedes Jahr findet im Sommer das Turnei Mittelalterspektakel in Bern statt. Für Interessierte gibt es weitere Informationen auf www.turnei.ch.

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